🗞 48/2024
Lob des Stallstaubs · Familienbelastende Depression · Hoffnung auf gezielte Therapien gegen das Altern? · Malariaimpfung - durch Mückenstiche · Rekordanstieg Arzneimittelkosten
📌 5 weekly picks
1 📌 Lob des Stallstaubs
Staub aus traditionellen Kuhställen wirkt wie ein Schutzschild gegen Asthma und Allergien bei Kindern. Forschende am Dr. von Haunerschen Kinderspital der LMU München untersuchen, wie Zellen des Immunsystems auf Stallstaub reagieren und wie dieser „schützende Farmeffekt“ das Immunsystem beeinflusst. Besonders Kleinkinder, die regelmäßig mit Stallstaub in Kontakt kommen, erkranken seltener an Asthma. Die Hygiene-Hypothese ist in der Wissenschaft mittlerweile etabliert. Tenor: Das kindliche Immunsystem sollte vor allem in den Vorschuljahren „trainiert“ werden durch regelmäßigen Kontakt mit bestimmten „guten“ Mikroorganismen. Das Immunsystem muss lernen, nicht übermäßig zu reagieren und keine harmlosen Substanzen anzugreifen oder sich gegen körpereigene Strukturen zu richten.
„Wir wissen mittlerweile, dass das angeborene Immunsystem in der Allergieentstehung und auch in der Prävention viel zentraler ist, als wir über Jahrzehnte dachten", so Prof. Dr. Bianca Schaub, Professorin der LMU an der Kinderklinik und Kinderpoliklinik im Dr. von Haunerschen Kinderspital, mit Schwerpunkt Kinderpneumologie und Allergologie am LMU Klinikum. Prof. Schaub wird als MINQ-Spezialistin für Asthma- und Allergieerkrankungen seit 2021 geführt.
Diese Erkenntnisse sollen zur Entwicklung neuer Therapien führen, die auch städtischen Kindern zugutekommen. Ziel ist es, die schützenden Substanzen des Stallstaubs zu isolieren und nutzbar zu machen – möglicherweise dann auch für bereits erkrankte Kinder.
Farm-dust mediated protection of childhood asthma: Mass cytometry reveals novel cellular regulation
Claudia Carina Beerweiler, Michael Salvermoser, Johanna Theodorou, Andreas Böck, Franziska Sattler, Paulina Kulig, Vinko Tosevski, Bianca Schaub | Allergy. 2024 Nov;79(11):3022-3035. doi: 10.1111/all.16347. Epub 2024 Oct 14. https://doi.org/10.1111/all.16347
2 📌 Familienbelastende Depression
Einmal im Jahr veröffentlicht die Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention das sogenannte Deutschland-Barometer Depression . Die Befragung untersucht jährlich Einstellungen und Erfahrungen zur Depression in der erwachsenen Bevölkerung. Befragt wurde im September 2024 ein repräsentativer Bevölkerungsquerschnitt aus 5.000 Personen zwischen 18 und 69 Jahren. Demnach sind 45 Prozent der Bundesbürger:innen von Depression betroffen: entweder direkt aufgrund einer eigenen Erkrankung (24%) oder indirekt als Angehörige (26%) einer erkrankten Person. 5 Prozent sind sowohl selbst betroffen und gleichzeitig Angehörige:r einer erkrankten Person.
Zwar gilt die Familie für viele Betroffene als eine wichtige Stütze. Rund drei Viertel der Angehörigen beschreiben die Depression jedoch auch als große Belastung für das Familienleben. So empfinden sie die Depressionserkrankung für das Familienleben als belastend oder sehr belastend. Vor allem die Sorge um den Erkrankten (81%) und dessen Antriebs- (73%) und Interessenslosigkeit (67%) wurden für die Familie als belastend erlebt. In 43 Prozent der Familien gab es während der Depression häufiger Streit als sonst. In jeder fünften Familie führte das sogar zu einem Kontaktabbruch (19%). „An Depression erkrankte Menschen fühlen sich erschöpft und innerlich wie abgestorben. Sie ziehen sich oft von anderen Menschen zurück, weil ihnen alles zu viel wird”, so Prof. Ulrich Hegerl, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention.
42 Prozent der befragten Menschen mit Depression berichten zudem, dass die Familie ihnen nicht helfen konnte, weil die Angehörigen selbst Probleme mit Depression oder anderen psychischen Erkrankungen hatten.
„Oft gibt es bei Depression familiäre Häufungen. Die Vererbung spielt eine wichtige Rolle dabei, ob jemand eine Veranlagung zu Depression hat oder nicht. Wer einen Elternteil mit Depression hat, hat selbst ein zwei- bis dreifach erhöhtes Risiko zu erkranken“.
Prof. Ulrich Hegerl
Nur 16 Prozent der Betroffenen berichten, dass ihre Angehörigen von Ärzten informiert und in die Behandlung eingebunden wurden. Die Angehörigen selbst empfanden es als Belastung, nicht gut von den Behandlern informiert worden (41%) und nicht in die Behandlung integriert zu sein (39%). „Depression betrifft die ganze Familie. Deshalb ist es sinnvoll, Angehörige in die Behandlung einzubeziehen, um ihnen beispielsweise Wissen über die Erkrankung und die Behandlung zu vermitteln. Familiäre Belastungen können so reduziert werden“, betont Hegerl.
3 📌 Hoffnung auf gezielte Therapien gegen das Altern?
In unseren Zellen gibt es einen Proteinkomplex, der als Sensor für die Verfügbarkeit von Nährstoffen fingiert und viele Zellfunktionen steuert. Der “mechanistic Target of Rapamycin complex 1”, kurz "mTORC1", ist der zentrale Bestandteil des Proteinnetzwerkes, das erkennt, ob eine Zelle Zugang zu ausreichend Nährstoffen hat. Er wirkt wie ein Schalter, der entscheidet, wann eine Zelle wachsen oder sich reparieren soll. Da mTORC1 praktisch alle zellulären Prozesse steuert, ist seine Aktivität bei den meisten menschlichen Krankheiten und während des Alterns häufig gestört.
Früher dachte man, dieser Schalter funktioniert nur an einem Ort in der Zelle (den Lysosomen). Die Forschenden des Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns in Köln konnten nun aber zeigen, dass aktives mTORC1 auch in anderen Bereichen der Zelle aktiv ist und je nach Standort unterschiedliche Aufgaben übernimmt. An jedem dieser Orte wirkt mTORC1 auf seine verschiedenen Substrate ein, um unterschiedliche Zellfunktionen zu steuern. Es sorgt dafür, dass eine Zelle nur dann wächst, wenn Nährstoffe im Überfluss vorhanden sind und alle anderen Bedingungen optimal sind. Da mTORC1 praktisch alle zellulären Prozesse steuert, ist seine Aktivität bei den meisten menschlichen Krankheiten und während des Alterns häufig gestört. Die neuen Erkenntnisse könnten dazu beitragen, neue, gezieltere Therapien gegen das Altern und altersbedingte Krankheiten zu entwickeln.
“Unsere Arbeit beantwortet nicht nur einige bisher unbeantwortete Fragen auf diesem Gebiet, sondern eröffnet auch eine völlig neue Welt der Nährstoffsensorik und der mTORC1-Biologie", sagt Constantinos Demetriades, der die Studie leitete. “Eines Tages könnten wir in der Lage sein, gezieltere Medikamente zu entwickeln, die mTORC1 spezifisch an bestimmten Stellen in der Zelle hemmen und damit bestimmte Zellfunktionen beeinflussen, während andere unbeeinflusst bleiben".
"mTORC1 activity licences its own release from 1 the lysosomal surface"
Aishwarya Acharya and Constantinos Demetriades
Molecular Cell, 2024 October 31
https://www.cell.com/molecular-cell/fulltext/S1097-2765(24)00831-1
"Spatial and Functional Separation of mTORC1 Signalling in Response to Different Amino Acid Sources"
Stephanie A. Fernandes, Danai-Dimitra Angelidaki, Julian Nüchel, Jiyoung Pan, Peter Gollwitzer, Yoav Elkis, Filippo Artoni, Sabine Wilhelm, Marija Kovacevic-Sarmiento, and Constantinos Demetriades
Nature Cell Biology, 2024 October 9 https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/39385049/
Weitere Informationen:
https://www.age.mpg.de/laesst-sich-das-altern-bremsen
4 📌 Malariaimpfung - durch Mückenstiche
Wissenschaftler des Leiden University Center for Infectious Diseases in Leiden, Niederlande, und des Department of Medical Microbiology des Radboud University Medical Center in Nijmegen haben nach einem Bericht des Wissenschaftsmagazins nature eine neue Strategie zur Impfung gegen Malaria entwickelt – die Stärkung der Immunität durch Stiche genetisch veränderter Mücken. Dabei wird die Immunisierung durch Insekten übertragen, die mit einer modifizierten Version des Malaria-Erregers infiziert sind. In einer Studie reduziere dieser Ansatz die Anfälligkeit der Teilnehmer für Malaria und ebnete möglicherweise den Weg für wirksamere Methoden, um die Krankheit zu bekämpfen, die jedes Jahr etwa 250 Millionen Menschen infiziert.
„Diese Ergebnisse sind ein bedeutender Fortschritt in der Malaria-Impfstoffentwicklung“, sagt Julius Hafalla, Immunologe an der London School of Hygiene & Tropical Medicine. „Die andauernde globale Malaria-Belastung macht die Entwicklung effektiver Impfstoffe zu einer kritischen Priorität.“
Die Studie, veröffentlicht am 20. November in The New England Journal of Medicine, setzte Teilnehmer den Stichen von Mücken aus, die eine modifizierte Version des Malaria-Erregers Plasmodium falciparum trugen. Beim Menschen wandert der Parasit zunächst in die Leber und infiziert dann rote Blutkörperchen. Die Parasiten wurden so verändert, dass sie sich kurz nach ihrer Übertragung in den menschlichen Körper nicht mehr weiterentwickeln. Fast 90 % der Teilnehmer, die den modifizierten Parasiten ausgesetzt waren, blieben von einer Malaria-Erkrankung verschont. Das vielversprechende Verfahren könnte zu wirksameren Impfstrategien führen, die weniger Nebenwirkungen haben und länger wirken als bestehende Impfstoffe. Eine größere Studie soll die Ergebnisse bestätigen.
"Safety and Efficacy of Immunization with a Late-Liver-Stage Attenuated Malaria Parasite"
https://www.nejm.org/doi/10.1056/NEJMoa2313892
5 📌 Arzneimittelkosten: Anstieg um 74 Prozent in den letzten zehn Jahren
Nach Berechnungen des WIdO, des Wissenschaftlichen Instituts der AOK, haben die Nettoausgaben für Arzneimittel in der gesetzlichen Krankenversicherung im Jahr 2023 erneut einen neuen Höchststand erreicht und sind auf 54,0 Milliarden Euro gestiegen. Damit liegen die Arzneimittelkosten um 74,0 Prozent höher als vor zehn Jahren.
Die deutlichen Ausgabensteigerungen bei Arzneimitteln liegen vor allem in der Preisentwicklung patentgeschützter Arzneimittel begründet. Auf diese entfallen demnach mehr als die Hälfte der Ausgaben, gleichzeitig decken sie aber einen immer geringeren Versorgungsanteil ab: Nach verordneten Tagesdosen lag dieser im Jahr 2023 bei 6,7 Prozent. Im Jahr 2014 waren es noch 11,4 Prozent. Das entspricht einem Rückgang von über 40 Prozent in den letzten zehn Jahren.
Denn während die Nettokosten der Arzneimittel im Gesamtmarkt in den letzten zehn Jahren um 74,0 Prozent von 31,0 auf 54,0 Milliarden Euro gestiegen sind, hat die Anzahl der Verordnungen lediglich um 13,2 Prozent von 651,5 auf 737,3 Millionen zugenommen. Allerdings nehmen die sogenannten "Hochpreiser" laut WIdO-Analyse immer größere Umsatzanteile ein. Unter den mehr als 63.000 verschiedenen Arzneimitteln, die im Jahr 2023 für die Versorgung von GKV-Versicherten eingesetzt wurden, befinden sich Medikamente, die einen Apothekenverkaufspreis von mindestens 1.000 Euro haben.
Die Folge ist, dass zunehmend mehr Geld für die Versorgung von wenigen Patientinnen und Patienten aufgewendet wird. Während 2014 nur etwas mehr als jeder vierte Euro (27,6 Prozent) des Gesamtumsatzes auf Arzneimittel mit Preisen von 1.000 Euro oder mehr entfiel, war es 2023 knapp jeder zweite Euro (47,6 Prozent). Zugleich erreichten diese Arzneimittel aber nur einen Anteil von 1,5 Prozent an den 692 Millionen Verordnungen verschreibungspflichtiger Medikamente im Jahr 2023. Ein ähnliches Bild zeigt sich auch bei den noch teureren Medikamenten mit Packungspreisen jenseits von 5.000 Euro und mehr.
Der GKV-Arzneimittelmarkt: Klassifikation, Methodik und Ergebnisse 2024
Zum PDF-Download
💬 Über den Tellerrand
Die Hälfte der weltweit 20 forschungsstärksten Wissenschafftsstädte sind in China
Die Hälfte der TOP-20 forschungsstarken Wissenschaftsstädte sind in China. Der jährliche Blick auf die weltweit führenden Städte nach Forschungsergebnissen im Nature-Index zeigt, dass sich Chinas große städtische Zentren immer mehr den Spitzenpositionen nähern und dass zunehmend auch kleinere chinesische Provinzstädten an die Spitze der Rangliste klettern. Im aktuellen Ranking konnte Shanghai jetzt den zweite Platz übernehmen und New York auf den dritten Platz verdrängen. Der Nature-Index wertet Beiträge zu Forschungsartikeln aus, die in anerkannten naturwissenschaftlichen und medizinwissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht wurden.
Zum Nature-Artikel
📬 Mailbox
1 ‘A place of joy’
Offenbar wechseln immer mehr Wissenschaftler von X auf die social-media platform Bluesky. Bluesky begann 2019 als Forschungsinitiative bei Twitter und wurde 2021 ein unabhängiges Unternehmen. Wie das Wissenschaftsmagazin Nature berichtet, ist die Plattform seit den US-Präsidentschaftswahlen von fast 14 Millionen Nutzern auf fast 21 Millionen gewachsen.
“All the academics have suddenly migrated to Bluesky,” sagt Bethan Daviesvon der Newcastle University, UK. Die Plattform sei “absolutely exploded”.
Im Artikel werden Beweggründe von internationalen Forschern aufgeführt, sich dem Netzwerk anzuschließen. Einer der Gründe ist die Vereinnahmung von X durch Elon Musk.
📣 Ankündigungen
1️⃣ Nachtvorlesung 2.0: Herzgesund
„Herzgesund bleiben – Herzgesund werden!“ An zwei aufeinanderfolgenden Donnerstagen präsentieren Expert:innen der Universitätsmedizin Mainz aktuelle Erkenntnisse zur Herzgesundheit und geben Einblicke in die medizinische Spitzenforschung – für Laien verständlich und unterhaltsam aufbereitet. Der erste Themenabend am kommenden Donnerstag widmet sich hauptsächlich der Prävention von Herzerkrankungen, während eine Woche später „Herzgesund werden!“ das Thema ist. Die Nachtvorlesung 2.0 finden im großen Hörsaal der Chirurgie der Universitätsmedizin Mainz statt. Der Eintritt ist frei. Nach der Vorlesung soll es Diskussionsrunde mit allen Expert:innen geben sowie ein “informelles Nachgespräch” bei Bratwurst und Getränken zu einem kleinen Preis.
Weitere Informationen auf den Seiten der UM Mainz
📅 wann: Donnerstag, den 05. Dezember + 12. Dezember 2024 ab 19.30 Uhr
📍wo: Großer Hörsaal der Chirurgie, Gebäude 505H, Langenbeckstraße 1, 55131 Mainz
2️⃣ Münchner Symposium: Neues aus San Antonio + State of the Art Gynäkologie
Die langjährigen MINQ-Spezialist:innen Prof. Dr. med. Nadia Harbeck und Prof. Dr. med. Sven Mahner von der LMU Frauenklinik laden für übernächste Woche zum Münchner Symposium '24. Zum Thema Gynäkologische Tumoren und Brustkrebs werden Neuigkeiten des 47th Annual San Antonio Breast Cancer-Kongresses - dem weltweit größten Brustkrebskongress - präsentiert sowie ein "State of the Art" Gynäkologie und Geburtshilfe.
Geplant sind praxisnahe Workshops, die erstmalig in dieser Form beim Symposium stattfinden. Im Anschluss an die Workshops gibt es Vorträge und Diskussionen. Besonderes Highlight für diese Jahr: eine Live-Berichterstattung aus San Antonio.
Zur Registrierung für das Symposium
📅 wann: 13. bis 14. Dezember 2024
📍wo: Hilton München Park, Am Tucherpark 7, 80538 München
MINQ's weekly picks Newsletter
Melden Sie sich kostenlos an, um die neuesten Updates in Ihrem Posteingang zu erhalten