🗞 24/2025
Bewegung als Medizin · Aidvice hilft Krebspatient:innen · Biomarker für Frailty-Syndrom · Gehirn liebt Rhythmus · Blinddarmkrebsarten nehmen bei Jüngeren · Wut als Energiequelle im Job
📌 5 weekly picks
📌 1. Bewegung als Medizin
Was wäre, wenn der beste Schutz gegen viele chronische Krankheiten weder in Pillenform noch im OP-Saal zu finden wäre, sondern schlicht im eigenen Körper steckt? Bewegung als Medizin – diese Idee ist nicht neu, aber sie bekommt durch aktuelle Studien neuen Auftrieb. Gezielt eingesetzte Übungen zeigen beeindruckende Wirkungen bei einer Reihe chronischer Erkrankungen.
Bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen verbessert regelmäßiges aerobes Training wie Gehen oder Radfahren die Herzfunktion, senkt den Blutdruck und erhöht die Überlebensraten. Besonders spannend: Schon moderate Bewegung kann einen Unterschied machen.
Auch bei Typ-2-Diabetes sind die Daten eindeutig: Bewegung verbessert die Insulinsensitivität und senkt den Blutzuckerspiegel. HIIT (High Intensity Interval Training) und Krafttraining zeigen hier besonders starke Effekte. Gleichzeitig wird das Diabetesrisiko bei prädisponierten Gruppen deutlich reduziert.
Selbst bei Krebs – einem Feld, das lange als unbeeindruckt von Lebensstilfaktoren galt – zeigt sich: Bewegung verbessert nicht nur die Lebensqualität, sondern erhöht nachweislich die Überlebensrate, z. B. bei Brust- und Prostatakrebs.
Patient:innen mit COPD profitieren von gezielten Rehabilitationsprogrammen, die Ausdauer- und Krafttraining kombinieren. Das verbessert nicht nur die Lungenfunktion, sondern auch die allgemeine Belastbarkeit.
Adipositas-Programme ohne Bewegung? Heute undenkbar. Training reduziert Fettmasse, verbessert den Stoffwechsel und beugt Folgekrankheiten vor. Auch bei mentalen Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen gilt Bewegung als nachweislich wirksames Antidepressivum – ganz ohne Nebenwirkungen.
Rheumatische Erkrankungen wie Arthritis sprechen gut auf Wassertraining und Krafttraining an. Und bei neurologischen Krankheiten wie Parkinson oder MS verbessern gezielte Bewegungen Gleichgewicht und Koordination. Selbst bei Osteoporose zeigt sich: Bewegung schützt vor Frakturen und erhöht die Knochendichte.
Das Fazit: Gezielt eingesetzte Bewegung ist mehr als Prävention. Sie ist Therapie. Und ein Mittel, das wir – im wahrsten Sinne des Wortes – selbst in der Hand haben.
🔗 Quelle: American Journal of Preventive Medicine AJPM
📌 2. KI für mehr Klarheit: Aidvice hilft Krebspatient:innen
Wenn Diagnose und Therapiefragen den Alltag auf den Kopf stellen, ist eins besonders wichtig: verlässliche und verständliche Information. Doch genau daran hapert es oft, wie ein Projekt der TU München zeigt. Mit "Aidvice" wird nun ein KI-gestützter Assistent entwickelt, der Patienten und Ärzt:innen mit evidenzbasiertem Wissen versorgt – transparent, aktuell und individuell. Rund zwei Drittel aller Krebspatient:innen suchen im Netz nach Antworten. Doch statt validierter Informationen stoßen sie oft auf Halbwahrheiten oder unseriöse Quellen. "Aidvice" will das ändern: Der digitale Assistent greift auf eine kuratierte Wissensdatenbank mit medizinischen Leitlinien zur Krebstherapie zurück und verspricht präzise Antworten ohne KI-Halluzinationen.
Was Aidvice besonders macht? Das System basiert auf einem Large Language Model (LLM), das Antworten nicht nur generiert, sondern jede Aussage mit der Datenbank abgleicht und auf Originalquellen verweist. Damit wird jede Information nachvollziehbar – ein großer Fortschritt für die digitale Patientenkommunikation.
Das Projekt, geleitet von Prof. Florian Matthes (TUM) und PD Dr. Jan Peeken (TUM Klinikum), wird mit 1,5 Millionen US-Dollar von Google.org gefördert. Es ist Teil des "Google.org Accelerator: Generative AI"-Programms. In einer Pilotphase wird der Assistent nun an Kliniken getestet – mit dem Ziel, ihn bald flächendeckend in Deutschland und Europa einzusetzen.
🔗 Quelle
📌 3. Gen im Visier: Hoffnung für gebrechliche Herzpatient:innen
Gebrechlichkeit (auch Frailty-Syndrom) im Alter ist mehr als ein altersspezifisches Leiden – sie ist ein ernst zu nehmendes Gesundheitsrisiko, besonders bei Herzpatient:innen. Ein interdisziplinäres Team unter Leitung des DIfE der Universität Potsdam und des Deutschen Herzzentrums der Charité hat nun das Gen S100A1 als möglichen Biomarker für Mobilitätsverlust identifiziert.
Untersucht wurden 63 ältere Patient:innen, die sich einer Herz-OP oder TAVI unterzogen. Per Muskelbiopsie und Genanalyse wurde ein starker Zusammenhang zwischen niedriger S100A1-Expression und eingeschränkter Muskelkraft, langsamer Ganggeschwindigkeit und reduzierter Mobilität festgestellt. Besonders spannend: In Mausmodellen führte eine höhere S100A1-Expression zu mehr Muskelmasse – und gezieltes Training konnte die Expression weiter steigern. S100A1 reguliert die Kontraktionskraft in Herz- und Skelettmuskulatur und wird nun als möglicher therapeutischer Angriffspunkt gesehen. Ziel ist es, S100A1 zukünftig als klinischen Marker für Frailty zu validieren und mit Trainings- oder Arzneimittelstrategien gezielt zu beeinflussen.
Ein Hoffnungsschimmer für viele ältere Patient:innen – denn Gebrechlichkeit ist behandelbar, wenn man ihre molekularen Wurzeln versteht.
🔗 Quelle: Journal of Cachexia, Sarcopenia and Muscle
Transcriptomic Signature of Frailty in Older Patients With Cardiovascular Disease Undergoing Cardiac Surgery or TAVI
Omar Baritello, Simon H. Sündermann, Kristian Espinosa-Garnica, Jörg Kempfert, Markus Jähnert, Nick L. Beetz, Dominik Geisel, Jasmin Gaugel et. al.
First published: 05 June 2025
https://doi.org/10.1002/jcsm.13846
📌 4. Gehirn am Draht: Wenn Strom und Sound um Aufmerksamkeit konkurrieren
Unser Gehirn liebt Rhythmus. Doch wer gewinnt, wenn elektrische Impulse und akustische Reize gleichzeitig um unsere Aufmerksamkeit buhlen? Eine neue Studie des Max-Planck-Instituts für empirische Ästhetik zeigt: Natürliche Klänge setzen sich meist durch. Erst wenn diese kaum vorhanden sind, kann schwacher Strom die neuronale Verarbeitung beeinflussen.
In der Studie hörten Proband:innen verrauschte Töne mit winzigen Pausen. Gleichzeitig wurde mit transkranieller Wechselstromstimulation (tACS) das Gehirn elektrisch stimuliert. Das Ergebnis: Nur wenn kaum rhythmische akustische Reize vorhanden waren, beeinflusste der Strom das Verhalten deutlich. Jeder Mensch reagierte zudem auf eine andere Frequenz besonders stark.
Fazit: Eine "One-size-fits-all"-Stimulation gibt es nicht. Die individuelle Abstimmung auf Gehirnrhythmen ist Schlüssel zur effektiven Anwendung – etwa in Therapie oder Rehabilitation.
🔗 Quelle: PLOS Biology
Sensory stimuli dominate over rhythmic electrical stimulation in modulating behavior
Yuranny Cabral-Calderin ,Molly J. Henry
Published: June 5, 2025
https://doi.org/10.1371/journal.pbio.3003180
📌 5. Seltene Blinddarmkrebsarten nehmen bei Jüngeren zu
Ein unerwarteter Trend sorgt für Aufsehen: Seltene Blinddarmkrebsarten, insbesondere das sogenannte appendixbezogene Adenokarzinom, treten zunehmend bei jüngeren Menschen auf – besonders bei Millennials und Angehörigen der Generation X. Das berichtet die New York Times unter Berufung auf aktuelle Registerdaten. Zwar bleibt diese Krebsart insgesamt selten, doch der Anstieg ist auffällig. Mediziner:innen vermuten, dass veränderte Lebensstile, Umweltfaktoren oder auch verbesserte Diagnosemethoden dahinterstehen könnten. Die genauen Ursachen sind jedoch noch unklar. Besorgniserregend ist, dass viele Fälle erst spät entdeckt werden, da frühe Symptome oft unspezifisch sind – etwa Bauchschmerzen oder Verdauungsprobleme. Fachleute betonen daher die Bedeutung genauer Diagnostik bei anhaltenden Beschwerden im Bauchraum, auch bei junger Patientenschaft.
Die Forschung steht noch am Anfang, aber der Trend zeigt: Auch vermeintlich seltene Krebsarten sollten bei jüngeren Menschen nicht unterschätzt werden.
👉 weiterlesen in der New York Times
PLUS ...
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😡 Wut als Energiequelle im Job?
Wut im Job ist nicht per se schlecht. Eine aktuelle Studie der Universität Hohenheim zeigt: Wer Ärger konstruktiv äußert und sich im Team gut eingebunden fühlt, kann diese Emotion sogar für mehr Produktivität nutzen. 214 Berufstätige aus zehn Branchen wurden zwei Wochen lang mehrmals täglich zu Ärgererlebnissen und deren Bewältigung befragt. Das Ergebnis: Entscheidend ist nicht der Ärger selbst, sondern die Reaktion darauf. Wer sich sozial eingebunden fühlt und ärgerliche Situationen offen und respektvoll anspricht, kann daraus Motivation und Lösungskraft gewinnen. Dieses Verhalten bezeichnen die Forschenden als "konfrontative Bewältigung". Anders sieht es bei "grübelnder Bewältigung" aus: Wer Wut in sich hineinfrisst oder endlos darüber nachdenkt, ohne ins Handeln zu kommen, riskiert Erschöpfung und Leistungseinbruch. Entscheidend ist das soziale Umfeld: Ein starkes Teamgefühl erleichtert konstruktiven Umgang mit Emotionen.
Die Forschenden raten: Unternehmen sollten Emotionen nicht unterdrücken, sondern als Ressource fördern. Führungskräfte könnten lernen, Wut bei Mitarbeitenden frühzeitig zu erkennen und in positive Bahnen zu lenken. Das steigert nicht nur das Wohlbefinden, sondern auch die Kreativität und Leistungsfähigkeit der Belegschaft.
🔗 Quelle: Frontiers in Psychology
🤕 IchalsPatient
1️⃣ Alltag meistern trotz Chaos im Kopf: Tipps bei gestörter Exekutivfunktion
To-do-Listen, die nicht enden. Einfache Aufgaben, die sich wie ein Berg anfühlen. Menschen mit ADHS, Autismus oder Depressionen kennen das Problem: Die sogenannte Exekutivfunktion ist gestört – also genau die Fähigkeit, Absichten in gezieltes Handeln zu übersetzen.
Die US-Psychologin Tamara Rosier empfiehlt: Zuerst analysieren, was genau das Problem ist. Fällt der Start schwer? Liegt es an Perfektionismus oder Angst? Dann gilt es, mit passenden Strategien gegenzusteuern. Etwa mit "Body Doubling" – also gemeinsam mit jemandem an einer Aufgabe arbeiten. Oder mit der Pomodoro-Technik: 25 Minuten fokussiert arbeiten, dann Pause. Externe Hilfen wie Checklisten oder Sprachmemos können entlasten, ebenso wie das Wissen: Ich bin nicht allein. Entscheidend ist, die eigenen Erwartungen und die des Umfelds realistisch zu setzen – und sich selbst nicht zu hart zu beurteilen.
Denn: Eine gestörte Exekutivfunktion ist keine Charakterschwäche, sondern eine neurobiologische Besonderheit. Und mit Geduld, Struktur und Unterstützung lassen sich selbst große Berge bezwingen.
👉 weiterlesen in der New York Times
2️⃣ 🎧 Podcast: Philosophieren über das “Versagen”
Niemand versagt gerne, und wer jemanden als "Versager" bezeichnet, bestraft sogar die ganze Person. Warum man beim Nachdenken übers Versagen viel über unser aktuelles Menschenbild lernt, diskutiert Catherine Newmark in einem informativen Gespräch mit der Literaturwissenschaftlerin Nora Weinelt.

📣 Ankündigungen
1️⃣ Onkologischer Patient:innenkongress „Nachsorge Nord“
Am 28.06.25 findet in den media docks Lübeck der 2. Onkologische Patient:innenkongress statt. Patient:innen, Angehörige und Interessierte können kostenfrei teilnehmen, für Verpflegung ist reichlich gesorg. Parkplätze sind in ausreichender Anzahl vorhanden.
📅 Wann: 28. Juni 2025 - 09-17 Uhr
📍 Wo: media docks Lübeck, Willy-Brandt-Allee 31, 23554 Lübeck.
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