Bild der Woche Joshua Gresham

🗞 24/2024

Fossile Viren - Risikofaktor für heutige psychische Erkrankungen · Ja zur Datenspende · Sinnvoll oder nicht? Kinderbesuche auf Intensivstationen · Therapieoptionen Leberkrebs · MINQs Choice: Dr. med. Holger M. Pult · Dr. med. Klaus Peitgen · Dr. med. Michael Marx

Mirjam Bauer
Mirjam Bauer

1 📌 Fossile Viren - Risikofaktor für psychische Erkrankungen?

Eine neue Studie identifiziert fünf uralte Viren in unserem Erbgut, die das Risiko einer psychischen Erkrankung erhöhen. Dies könnte die Forschung revolutionieren.
Forschende des King‘s College in London haben einen der genetischen Risikofaktoren ausfindig gemacht: Millionen Jahre alte fossile Viren im menschlichen Erbgut könnten bei der Entwicklung von psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Schizophrenie und bipolaren Störungen eine Rolle spielen. So genannte Retroviren werden über Generationen hinweg im menschlichen Genom weitergegeben. Studien legen nahe, dass die meisten dieser humanen endogenen Retroviren, HERVs, vor etwa 1,2 Millionen Jahren in die menschliche DNA-Sequenz integriert wurden. Bis vor kurzem waren die Forscher:innen davon ausgegangen, dass die „fossilen Viren“ nur DNA-Müll seien und im Körper keine bedeutende Funktion hätten. Das Forscherteam konnte nun jedoch nachweisen, dass die uralten Viren aktiver sind als gedacht.
Sie analysierten genetische Daten von 792 postmortalen Gehirnen und Daten aus großen genetischen Studien mit Zehntausenden von Menschen mit und ohne psychische Erkrankungen. Durch den Abgleich mit einer Genom-Datenbank identifizierten die Wissenschaftler:innen aktive Gene mit viralem Ursprung. Von diesen stuften die Forschenden fünf als „HERVs mit hohem Risiko“ ein. Zwei davon waren spezifisch für Schizophrenie, ein weiterer Retrovirus stand sowohl mit Schizophrenie als auch mit bipolarer Störung im Zusammenhang, und ein weiterer wies eine signifikante Assoziation mit schwerer Depression auf.

Weitere Informationen zur Studie hält u.a. die FR bereit

2 📌 Überraschende Mehrheit: Ja zur Datenspende

Mehr als 86 Prozent der Deutschen wären damit einverstanden, wenn Gesundheitsdaten künftig auch ohne Einwilligung der Betroffenen für öffentlich geförderte medizinische Forschung verwendet werden. Voraussetzung wäre, dass Datennutzung und -zugang gesetzlich geregelt und ausreichend kontrolliert würden. Das ergab eine bevölkerungsrepräsentative forsa-Umfrage im Auftrag der TMF – Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung e.V.
Solche Gesundheitsdaten, die für die medizinische Forschung sehr wertvoll sein können, entstehen an vielen Stellen, etwa in Krankenhäusern, Arztpraxen und Apotheken oder bei Krankenkassen und Versicherungen. Derzeit arbeiten Expert:innen daran, diese Daten technisch und organisatorisch für die medizinische Forschung nutzbar zu machen. In der Praxis ist es jedoch schwierig, von allen Betroffenen eine Einwilligung für die Nutzung ihrer Daten einzuholen. Mit dem Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) wurde kürzlich der Grundstein dafür gelegt, Gesundheitsdaten unter bestimmten Voraussetzungen auch ohne Einwilligung für die Forschung nutzen zu können. Um jetzt die Akzeptanz einer Forschungsdatennutzung im Sinne einer einwilligungsfreien „Datenspende“ in der deutschen Bevölkerung zu ermitteln, hat die TMF das Meinungsforschungsinstitut forsa mit einer Umfrage unter rund 3.000 Teilnehmenden beauftragt. Das überraschende Ergebnis: Mehr als 86 Prozent der Befragten befürworteten eine einwilligungsfreie Nutzung von Gesundheitsdaten für die öffentlich geförderte Forschung. Im Gegenzug solle es jedoch möglich sein, der Teilnahme an dieser sogenannten „Datenspende“ einfach und dauerhaft zu widersprechen. Mehr als zwei Drittel der Befragten wünschten sich zudem ein größeres Informationsangebot zur medizinischen Forschung mit Gesundheitsdaten. Gleichzeitig waren fast drei Viertel der Meinung, dass jeder Bürger selbst dafür verantwortlich sei, sich ein ausreichendes Wissen anzueignen, um die Entscheidung für oder gegen die Teilnahme an der Datenspende sinnvoll abwägen zu können.

Weiterlesen

📝
Zur Originalstudie:
Attitude towards consent-free research use of personal medical data in the general German population. Gesine Richter, Nourane Trigui, Amke Caliebe, Michael Krawczak. Open Access Published: March 09, 2024

DOI: https://doi.org/10.1016/j.heliyon.2024.e27933

3 📌 Einfluss der Raumfahrt auf die Gesundheit von Astronau:innen

Bis zum Mars: Das ist das erklärte Ziel der Raumfahrt. Diese ist aber für den menschlichen Körper eine erhebliche gesundheitliche Herausforderung: Unter anderem nimmt die Muskel- und Knochendichte signifikant ab und das Immunsystem verändert sich. Die gesundheitlichen Risiken besser zu verstehen und möglicherweise Gegenmaßnahmen zu entwickeln, ist deshalb unerlässlich. Um die Gesundheit und Sicherheit der Astronaut:innen sicher zu stellen, wollen Forschende verstehen, wie die Raumfahrt den menschlichen Körper beeinflusst.
Eine von ihnen ist Daniela Bezdan aus Tübingen vom Institut für Medizinische Genetik und Angewandte Genomik unter der Leitung von Prof. Dr. Olaf Rieß. Sie war an Studien von einer der größten Datensammlungen im Bereich der Luft- und Raumfahrtmedizin beteiligt. Forschende von verschiedenen internationalen Universitäten konnten u.a. Gene identifizieren, die genetisch verändert werden könnten, um Menschen besser an die lebensfeindliche Umgebung des Weltalls anzupassen. Dies könnte ihnen letztendlich helfen, auf langen Weltraummissionen robuster zu sein. Neben ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit in der Tübinger Genetik repräsentiert Daniela Bezdan das Universitätsklinikum und Deutschland als eine von drei Koordinator:innen verschiedener Organisationen in der Weltraumforschung: NASA Genelabs Microbiome AWG, ESA-funded Space Omics Topical Team und bei ISSOP – International Standards of Space Omics Procedure zusammen mit Mitgliedern aus NASA (USA), JAXA (JAPAN) und ESA (EUROPA).

Auf Hawaii fanden Trainings für Astronaut:innen statt, die den Aufenthalt auf dem Mond oder Mars simulieren. Daniela Bezdan war als Koordinatorin an einer dieser Missionen beteiligt:

Daniela Bezdan auf Hawai Copyright: Daniela Bezdan

Mehr hierzu in einem Übersichtsartikel in Nature

4 📌 UK Mainz: Bessere Therapieoptionen für inoperable Lebertumore

Eine Studie unter der Federführung der Universitätsmedizin Mainz zeigt erstmals bessere Therapieoptionen für inoperable Lebertumore auf. Mit mehr als 900.000 Neuerkrankungen im Jahr ist Leberkrebs die weltweit fünft- bis sechsthäufigste Tumorerkrankung. Im frühen Stadium der Erkrankung bietet eine Operation und vor allem eine Transplantation eine Chance auf Heilung. Im fortgeschrittenen Stadium sind Tumore hingegen inoperabel, weshalb hier medikamentöse Therapien zum Einsatz kommen – die in klinischen Studien hinsichtlich Wirksamkeit und Verträglichkeit immer weiter verbessert werden. Vielversprechende Ergebnisse einer solchen Phase III-Studie stellte der Mainzer Leberspezialist und MINQ-Experte Prof. Dr. Peter Galle jetzt beim weltweit größten Kongress für klinische Onkologie in Chicago (ASCO Annual Meeting, rund 48.000 Teilnehmer:innen) vor: Die Daten zeigen, dass eine Kombination zweier Wirkstoffe aus der Gruppe der Checkpoint-Inhibitoren das Potenzial hat, künftig zur ersten Behandlungsoption bei fortgeschrittenem Leberkrebs zu werden.

Mehr hierzu auf den Seiten der UM Mainz

5 📌 Sinnvoll oder nicht? Kinderbesuche auf Intensivstationen

Sollen Kinder Besuche auf Intensivstation oder in der Notaufnahme machen? Oder überfordern Kabel und Schläuche oder das Bangen um Leben und Tod die Kleinen? Diese Frage wird unter Ärzten, Pflegekräften und Eltern kontrovers diskutiert. Am kommenden Montag (17. Juni) findet der „Tag der Intensivmedizin“ statt. Ziel dieses Aktionstags ist es, Arbeit und Alltag auf den Intensivstationen der Krankenhäuser stärker ins öffentliche Bewusstsein zu tragen. Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) hat Handlungsempfehlungen zum Umgang mit Kinderbesuchen auf Intensivstationen erarbeitet. Denn nach ihrer Einschätzung ergeben diese durchaus einen Sinn: Die Besuche könnten sowohl dem Kind als auch dem Patienten helfen, heißt es in einem Leitfaden, den die Fachgesellschaft bereits 2022 rund um das Thema veröffentlichte.

Die in zehn Punkte gegliederten Empfehlungen wurden von einem Expertenteam aus Österreich, Deutschland und der Schweiz erarbeitet:

Die DIVI-Empfehlungen zum Besuch von Kindern auf der Intensivstation:

ℹ️
10-Punkte-Empfehlungen
1. Den Besuch von Kindern im interprofessionellen Team planen
2. Elterliche Kompetenzen stärken
3. Kindgerechte Information sicherstellen
4. Den Besuch von Kindern vorbereiten, begleiten und nachbereiten
5. Psychosoziale Unterstützung anbieten
6. In palliativen Situationen besonders begleiten
7. In Notfallsituationen eine kindgerechte Begleitung ermöglichen
8. Führung – den richtigen Rahmen für Kinderbesuche schaffen
9. Qualitäts- und Risikomanagement einbinden
10. Den Kinderbesuch und Angehörigengespräche dokumentieren

Allerdings müssten die Kinder vorab altersgerecht informiert werden, was sie erwartet. Kinder stellten auch kein erhöhtes Infektionsrisiko dar, wenn die geltenden Hygieneanforderungen eingehalten würden. Auch gelte, dass der fehlende Kontakt zu einem schwerkranken Familienmitglied bei jungen Menschen Ängste und Schuldgefühle auslösen könne.

Weitere Informationen in der ÄrzteZeitung und auf den Seiten der DIVI

💬 Über den Tellerrand

Teilnehmer gesucht:
Studie erforscht Zusammenhang zwischen Schwerhörigkeit und Stimmstörungen

Menschen mit Schwerhörigkeit beklagen oft auch eine Verschlechterung der eigenen Stimme – trotz individueller Versorgung durch Hörgeräte. Die genauen Prozesse sind bisher nicht ausreichend erforscht. Für eine durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft geförderte Studie suchen Wissenschaftler:innen der Abteilung Phoniatrie und Pädaudiologie sowie der Abteilung Audiologie der HNO-Klinik – Kopf- und Halschirurgie von MINQ-Spezialist Prof. Dr. Dr. h. c. Heinrich Iro schwerhörige und normalhörige Erwachsene, deren Muttersprache Deutsch ist. Darüber hinaus sollten die Teilnehmenden weder professionelle Sänger:innen sein noch eine Stimmstörung aufweisen.

In dem Projekt wird der Anpassungsprozess der eigenen Stimme auf auditive Reize untersucht, um zukünftig neue Therapiemöglichkeiten zu entwickeln. Die Studie läuft bis März 2025 und beinhaltet das Tragen einer EEG-Haube, die anhand des Elektroenzephalogramms die Hirnaktivität misst, und eine endoskopische Untersuchung der Nase. Die Proband:innen erhalten außerdem eine kostenlose Hör- und Stimmuntersuchung durch Expert:innen der Erlanger HNO-Klinik.
Teilnehmende, die alle Voraussetzungen erfüllen, bekommen eine Aufwandsentschädigung in Höhe von ca. 50 Euro.
Interessierte können sich per E-Mail an hno-probanden@uk-erlangen.de oder per Telefon unter 09131 85-32618 bzw. -42930 beim Forschungsteam melden.

📣 Ankündigungen

1️⃣ Clever Charité - Medizin zum Anfassen

Die Funktionsweise unseres Körpers und seine Krankheiten verstehen. Unter dem Motto Ausprobieren, Mitmachen, Verstehen lädt die Berliner Universitätsmedizin am nächsten Samstag (22. Juni) zur Langen Nacht der Wissenschaften.
Hier erläutert im Vortrag zu Gehirn-Computer-Schnittstellen Surjo Soekadar, Professor für Klinische Neurotechnologie den Stand der Forschung. Er zeigt u.a., wie ein neural gesteuertes Exoskelett – ein von außen angelegtes Stützgerüst – die Lebensqualität von Menschen mit schweren Lähmungen verbessern kann. Denn Geräte nur mit Gedankenkraft zu steuern, ist nicht mehr nur Science Fiction. Das Digital Surgery Lab lädt ein, mittels Virtual Reality in 3D-Modelle menschlicher Anatomie zu tauchen und im OP-Saal die Perspektive des medizinischen Personals einzunehmen. Führungen hinter die Kulissen locken Besuchende beispielsweise ins Herzkatheter- und ins Ganglabor.
Geschichtsinteressierte können auf Campus- und Museumsführungen den Spuren der Vergangenheit folgen; die neue Direktorin des Berliner Medizinhistorischen Museums, Prof. Monika Ankele, begleitet sie zu den Krankenbetten historischer Patient:innen. Weitere Details sind im Charité-Programmheft übersichtlich zusammengefasst.

📆 Wann: 22. Juni 2024

📍 Wo: Campus Charité Mitte im und am CharitéCrossOver-Gebäude (CCO), Geländeadresse: Virchowweg 6

Tickets für die Lange Nacht der Wissenschaften kosten 14 Euro (ermäßigt 9 Euro), zusätzlich gibt es Angebote für Familien und Gruppen. Kinder unter 6 Jahren haben freien Eintritt. Tickets sind über Reservix erhältlich.

Zum gesamten Programm zur Langen Nacht der Wissenschaften 2024

2️⃣ Emotion und Bewegung

Orthopäden und Sportmediziner kommen nächste Woche (20./21.06.) in Nürnberg zusammen. Die Gesellschaft für Orthopädisch-Traumatologische Sportmedizin (GOTS) veranstaltet ihren 39. Jahreskongress: GOTS for EMotion. Der langjährige MINQ-Spezialist Prof. Dr. Andreas Imhoff aus München spricht zum Thema „Shoulder Instability Across the Life Span - Evolution in the last 40 Years”, Prof. Dr. Yasuyuki Ishibashi aus Japan (Präsident der JOSA) berichtet über „Treatment strategy and results for meniscus lesion in anterior cruciate ligament injury” und MD Nam-Hong Choi aus Korea (Past-Präsident der KOSSM) teilt seine Erfahrungen zu „Lateral meniscus allograft transplantation”.

📆 Wann: 20. - 21. Juni 2024

📍 Wo: Meistersingerhalle Nürnberg, Kleiner Saal, Münchener Straße 19 90478 Nürnberg

Wer: MINQ-Spezialist Prof. Dr. Thomas Tischer, Kongresspräsident/GOTS-Präsident, Malteser Waldkrankenhaus St. Marien, Erlangen, PD Dr. Milena Pachowsky, Malteser Waldkrankenhaus St. Marien, Erlangen, PD Dr. Thilo Hotfiel, MVZ Klinikum, Osnabrück, Prof. Dr. Christoph Lutter, Orthopädische Klinik und Poliklinik, Rostock

Zum Programm


🏆 MINQs Choice

Nach mehr als 25 Jahren aktiver Recherche und Erstellung der Ärztelisten, die seit 1997 regelmäßig zuerst in der Zeitschrift FOCUS publiziert wurden und seit 2022 im Magazin stern erscheinen, haben wir uns entschlossen, unter dieser Rubrik - gewissermaßen in eigener Sache - jede Woche auf 3 besondere Mediziner:innen zu verweisen. Wir freuen uns besonders auf thematische Anregungen aus diesem Kreis und stellen diese gerne in unseren weekly picks vor.


Dr. med. Holger M. Pult - MINQ-Spezialist seit 2011

Dr. med. Klaus Peitgen - MINQ-Spezialist seit 2016

Dr. med. Michael Marx - MINQ-Spezialist seit 2018

Newsletter

Kommentare