Foto der Woche: Rodolfo Mari

đź—ž 44/2023

Kollektive Diagnosen mit hoher Genauigkeit · Nachhaltigkeitspreis 2024 · Durchbruch in Alzheimer-Behandlung

Karl-Richard Eberle
Karl-Richard Eberle

đź“Ś 5 weekly picks

1. đź“Ś Kollektive Intelligenz kann Fehldiagnosen reduzieren

Vermeidbare medizinische Fehler entstehen oft bereits während des Diagnoseprozesses. Ein wirksamer Ansatz zur Erhöhung der Diagnosegenauigkeit könnte darin bestehen, die Diagnosen mehrerer Diagnostiker zu einer gemeinsamen Lösung zu kombinieren. In der allgemeinen medizinischen Diagnostik fehlte es jedoch an Methoden, um unabhängige Diagnosen zusammenzufassen. Nun wurde ein vollautomatischer Ansatz zur Nutzung kollektiver Intelligenz im Bereich der allgemeinen medizinischen Diagnostik vorgestellt, der an 1.333 medizinischen Fällen erprobt wurde - mit Hilfe der medizinischen Crowdsourcing-Plattform  â€śThe Human Diagnosis Project”. Jeder Fall wurde von zehn Diagnostikern unabhängig voneinander bewertet. Beim Vergleich der diagnostischen Genauigkeit einzelner Diagnostiker mit der kollektiven Diagnose unterschiedlich groĂźer Gruppen konnte festgestellt werden, dass die kollektive Diagnose die diagnostische Genauigkeit erheblich steigert: Während einzelne Diagnostiker eine Genauigkeit von 46 % erreichten, erhöhte sich diese durch die BĂĽndelung der Entscheidungen von zehn Diagnostikern auf 76 %.

Zur Originalstudie

2 đź“Ś Klinikum Stuttgart erhält den Nachhaltigkeitspreis 2024

Das Klinikum Stuttgart erhält als eines von hundert Unternehmen den Deutschen Nachhaltigkeitspreis (DNP) 2024. Das Klinikum Stuttgart habe sich das Thema Nachhaltigkeit auf die Fahnen geschrieben und als Unternehmensziel verankert. Positiver Effekt der Auszeichnung ist die sicher Vorbildwirkung. Sie kann andere Einrichtungen dazu ermutigen, ähnliche Bestrebungen in Angriff zu nehmen. BekanntermaĂźen haben Krankenhäuser erhebliche Umweltauswirkungen durch Energieverbrauch oder hohe Abfallproduktion.

Ein Beispiel fĂĽr Einsparpotential aus dem Klinikum Stuttgart:

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“35 Prozent der Gesamtemission einer Klinik entfallen auf Narkosemittel, die inhaliert werden. Bei einer siebenstĂĽndigen Operation werden so viel Treibhausgase frei wie bei einer 15.000 Kilometer langen Autofahrt. Durch intelligente Narkose- und Beatmungssteuerung kann eine groĂźe Menge klimaschädlicher Gase eingespart werden. „Wir haben von High-Flow- auf Minimal-Flow-Narkosen umgestellt. Dadurch werden pro Minute nur 0,5 Liter frisches Narkosegas zugefĂĽhrt, die restlichen sechs Liter werden aufbereitet“, sagt Dr. Thomas Ramolla, leitender OP-Manager. Bei mehr als 40.000 Narkosen pro Jahr im Klinikum kann so eine Menge klimaschädlicher Gase eingespart werden.”

Quelle: Klinikum Stuttgart

đź“… Die Preisverleihung findet am 23.11.2023 in DĂĽsseldorf statt.

Als special Guest ist die international bekannte CNN-Journalistin und Anchorwoman Christiane Amanpour geladen, die den Ehrenpreis des DNP erhält. Sie berichtet seit Jahren aus internationalen Krisengebieten, zuletzt aus der Ukraine und Israel.

Zum Laudatio des Veranstalters

Zur Pressemeldung des Klinikums

3 đź“Ś Alzheimer-Forscherin sieht Durchbruch

“Das ist ein echter Meilenstein, darauf haben wir lange gewartet. Bisher haben wir keine wirksamen Therapien, um den bei einer Demenz einsetzenden Prozess des Abbaus kognitiver Fähigkeiten zu beeinflussen. Die jetzt vor der Zulassung stehenden zwei Therapien setzen genau da an.”

Das sagt Prof. Dr. Dorothee Saur, Neurologin und Stellvertretende Klinikdirektorin am Universitätsklinikum Leipzig. Alzheimer sei zwar noch nicht heilbar. Aber nun stünden neue Therapien kurz vor der Zulassung. Antikörper bringen die Amyloid-Plaques im Gehirn nachweislich zum Verschwinden. Das könne das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen, aber nicht rückgängig machen. In Kombination mit einer frühen Diagnostik ließen sich damit allerdings Symptome wirksam aufhalten.

đź“… FĂĽr interessiertes Fachpublikum bieten die Neurologen am Universitätsklinikum Leipzig zu diesem Thema am 29. November ein Fachsymposium an.

Informationen zu der Veranstaltung

Dorothee Saur leitet auĂźerdem das Neuroimaging Lab, wo Methoden des modernen Neuroimaging entwickelt werden, um neurologische Erkrankungen und ihre Erholung zu untersuchen und besser zu verstehen.

Zur Originalmeldung der UK Leipzig

4 đź“Ś Arzt-Patient:innen-Verhältnis - „Wie eine scheiternde Liebesbeziehung“

Die Berliner Autorin und Dermatologin Dr. Yael Adler stellt in einem Gespräch mit der Apotheken-Umschau das besondere Verhältnis zwischen Patient:innen und Ärztinnen und Ärzten auf die gleiche Ebene wie zwischen Partner:innen in einer Beziehung.

“Beide Beziehungen können nur funktionieren, wenn wir einander vertrauen. Denn unserer Ärztin oder unserem Arzt müssen wir die Wahrheit über unseren Gesundheitszustand mitteilen – ihm also intimste und auch unangenehme Dinge über unseren Körper anvertrauen. Unsere Ärztin, unser Arzt sieht uns nackt, kennt Details, die wir teilweise nicht einmal unserem Lebenspartner erzählen.”

Trotzdem fühlten sich viele Patient:innen nach dem Arztbesuch enttäuscht. fühlten sich von ihren Behandelnden enttäuscht. Eine Umfrage unter social-media-Followern brachte eine alarmierende Erkenntnis zutage:

“Einige waren von Situationen mit ihren Behandelnden enttäuscht, andere verzweifelt, manche gar traumatisiert. Fast alle fühlten sich alleingelassen. Aus den Zuschriften wurde offenbar, dass viele Vorwürfe jenen gleichen, die auch in einer scheiternden Liebesbeziehung gemacht werden.”

Den behandelnden Ärztinnen und Ärzten rät die Medizinerin deshalb, nie diese besondere menschliche Rolle zu unterschätzen, die sie unter Umständen gegenüber ihren Patient:innen einnehmen. Den Patient:innen gibt sie den Rat, das Verhältnis zu den Behandler:innen zu versachlichen und beim Arztbesuch das knappe Zeitbudget, das den Ärzten zur Verfügung steht, zu bedenken.

Zum Interview

5 đź“Ś  PROMS sollten mehr Beachtung finden

Sogenannte PROMs (Patient-reported outcome measures) stellen ein wichtiges Element der Qualitätssicherung und der wertorientierten Versorgung von Patient:innen dar. Die Akzeptanzrate von PROMs in Krankenhäusern ist jedoch immer noch zu niedrig. Deswegen haben wir von MINQ immer wieder auf die Bedeutung von PROMs hingewiesen.

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“Mit der Einführung von systematischen und verpflichtenden Outcome-Messungen durch die Leistungserbringer und eine öffentliche Darstellung der Ergebnisse würde ein klares Signal erfolgen, Patientenbeurteilung von Resultaten als wichtiges Element der Aufklärung und als Zeichen einer umfassenden Transparenz anzuerkennen.”

Quelle: â€žPatient reported outcome measures“ in der öffentlichen Berichterstattung” https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/32300819/

Bei den MINQ-Recherchen werden seit 2017 die PROM-Aktivitäten von Krankenhäusern systematisch aus- und bewertet.

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Aus dem MINQ-Fragebogen: “Setzt Ihre Klinik Formen der Patientenbeteiligung ein, sog. PROMs (Patient Reported Outcomes) zur Messung und Bewertung von Qualitätsindikatoren jenseits der gesetzlich vorgeschriebenen ein?”
”Welche PROM-Instrumente verwendet Ihre Klinik?”

Abgefragt werden u.a. die anerkannten Instrumente EuroQol (EQ-5D), EORTC (Quality of Life Questionnaires in cancer patients), ICHOM-Standardsets oder PROMIS

  • EuroQol (EQ-5D) ist ein standardisiertes Instrument, das von der EuroQol-Gruppe entwickelt wurde, um Gesundheitsergebnisse zu messen. Es ist anwendbar auf eine breite Palette von Gesundheitszuständen und -behandlungen.
  • EORTC (Quality of Life Questionnaires in cancer patients) ist ein System zur Beurteilung der Lebensqualität von Krebspatienten, das von der European Organisation for Research and Treatment of Cancer entwickelt wurde.
  • ICHOM steht fĂĽr International Consortium for Health Outcomes Measurement. Es handelt sich um eine gemeinnĂĽtzige Organisation, die darauf abzielt, Gesundheitssysteme zu transformieren, indem sie Patientenergebnisse misst und berichtet.
  • PROMIS, oder Patient-Reported Outcomes Measurement Information System, ist eine Reihe von personenzentrierten MaĂźnahmen, die die physische, geistige und soziale Gesundheit bei Erwachsenen und Kindern bewerten und ĂĽberwachen.
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Ziel von MINQ bleibt es, die Akzeptanz von PROMs in unseren Krankenhäusern zu erhöhen. Das ist weiter ein wichtiges Thema, das unsere Beachtung finden wird.

đź’¬ Ăśber den Tellerrand

Strategien gegen “Aufschieberitis”

Die Barmer sorgt sich um ihre Versicherten, die unter “Prokrastination” leiden, also ihre Angelegenheiten nicht erledigt bekommen. “Das verursacht nicht nur unnötigen Stress. Auch die Qualität der Arbeit kann erheblich leiden. Wir gehen den Ursachen auf den Grund und erläutern Strategien, mit denen man die Prokrastination besser unter Kontrolle bringen kann.”

Zur den Barmer-Tipps

AmĂĽsant und immer noch sehenswert dazu der Beitrag von Tim Urban, der einen amĂĽsanten TED-Vortrag zum Thema gemacht hat: “Im Kopf eines Profi-Aufschiebers”

🎬 Die letzte Klappe

Der Schuppensturmtaucher (unser Bild der Woche) ist ein tropischer Seevogel aus der Familie der Sturmvögel, der auch als Audubonsturmtaucher oder im Englischen als Audubon's shearwater bezeichnet wird. Damit wird es nun vorbei sein. Der Vogel benötigt einen neuen Namen. Wie die Washington Post berichtet, hat die renommierte  American Ornithological Society jetzt bekanntgegeben, dass sie die Namen, die nordamerikanischen Vögeln zu Ehren von Personen gegeben wurden, entfernt werden und durch Bezeichnungen ersetzen wird, die treffender ihre Gefieder und andere Eigenschaften beschreiben. Dabei werden zuerst diejenigen Vögel umbenannt, deren Namen auf “Sklavenhalter, weiĂźe Suprematisten und Räuber indigener Gräber” zurĂĽckgehen. Darunter fällt auch einer der berĂĽhmtesten Vogelbeobachter und Vogelmaler in der Geschichte der USA: John James Audubon, der ein Sklavenhalter war.

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