🗞 10/2025
Gleichbehandlung bei akuter Schlaganfalltherapie · Aufschieben (prokrastinieren) kann zu Einsamkeit · Roboterkollektive können Eigenschaften von embryonalem Gewebe imitieren · Morgenkaffee entfaltet positive Wirkung · Humanoide TALOS in Darmstadt eingetroffen
📌 5 weekly picks
1 📌 Gleichbehandlung bei akuter Schlaganfalltherapie
Laut einer aktuellen retrospektiven Kohorten-Studie in der Zeitschrift Neurological Research and Practice erhalten nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) im Hinblick auf die akute Schlaganfalltherapie in Deutschland weibliche ebenso häufig Thrombektomien und Thrombolysen wie männliche Betroffene. In der Vergangenheit war kritisiert worden, dass Frauen mit Schlaganfall schlechter bzw. später behandelt würden als Männer. Allerdings zeigte sich in der aktuellen Studie, dass Frauen ein höheres Risiko schwerer Schlaganfälle aufgrund von Vorhofflimmern haben als Männer, was zu Lasten der Mortalität gehen könnte.
Ältere Daten hatten gezeigt, dass es international eine Ungleichbehandlung von Patientinnen und Patienten gibt. Demnach erhielten Frauen weniger interventionelle Schlaganfallbehandlungen und erreichten schlechtere Therapieergebnisse nach einem Hirninfarkt, sowohl was die Gesamtmortalität als auch die funktionellen Ergebnisse betraf. Dies bestätigte jüngst auch eine Studie aus Dänemark: Frauen erhielten demnach weniger Reperfusionstherapien als Männer und es verging bei ihnen eine längere Zeitspanne zwischen dem Auftreten der Symptome und der Aufnahme auf eine Stroke Unit. Eine im Jahr 2021 publizierte Auswertung von Registerdaten aus den Jahren 2000 bis 2018 konnte eine solche Benachteiligung von Frauen in Deutschland allerdings nicht bestätigen – im Gegenteil: Bei Frauen mit ischämischem Schlaganfall war sogar die Wahrscheinlichkeit einer intraarteriellen Therapie, bestehend aus der Kombination von Thrombolyse und Thrombektomie, höher.
Die Unterschiede im internationalen Vergleich lassen sich erklären. Prof. Dr. Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie sagt dazu: „Deutschland ist im Hinblick auf die Schlaganfallversorgung Vorreiter. Bereits 1995 wurde eine Zertifizierung von Stroke Units eingeführt, welche die Strukturvoraussetzungen, aber auch die Qualitätskriterien für die Schlaganfallbehandlung definiert. Die Zertifizierungskriterien werden regelmäßig aktualisiert, so dass alle Betroffenen nach höchstem Standard behandelt werden. Die Therapiealgorithmen orientieren sich an objektivierbaren medizinischen Kriterien; Faktoren wie Geschlecht oder Ethnie spielen keine Rolle“.
Matthias N. Ungerer, Dirk Bartig, Christine Tunkl, Daniel Richter, Aristeidis Katsanos, Christos Krogias, Werner Hacke und Christoph Gumbinger No disadvantages for women in acute stroke care in Germany: an analysis of access to stroke treatment services in Germany from 2017 to 2022
Neurological Research and Practice volume 7, Article number: 8 (2025)
https://neurolrespract.biomedcentral.com/articles/10.1186/s42466-025-00365-4
2 📌 Ständiges Aufschieben kann zu Einsamkeit führen
Menschen, die wichtige Aufgaben regelmäßig aufschieben, sind häufiger einsam, fühlen sich sozial isoliert und leben eher zurückgezogen. Das betrifft vor allem Männer – wie Wissenschaftler des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) in einer Studie herausgefunden haben. „Mit unserer Studie konnten wir erstmals zeigen, dass Prokrastination auch soziale Effekte wie soziale Isolation mit sich bringen kann“, sagt Studienleiter Prof. Dr. André Hajek aus dem Institut für Gesundheitsökonomie und Versorgungsforschung des UKE. Ihre Ergebnisse haben die Forschenden im Journal of Public Health veröffentlicht.
Ein Grund für den sozialen Rückzug könnte sein, dass das wiederholte Aufschieben von Aufgaben zu Ängsten führt, den Ansprüchen oder Erwartungen der Mitmenschen nicht zu genügen. Außerdem belastet das ständige Aufschieben womöglich die Beziehung zu Freund:innen, Angehörigen oder Kolleg:innen, weil diese zunehmend frustriert sein können – was Auswirkungen auf die Beziehungsqualität haben könnte. Die Forschenden gehen davon aus, dass Männer sich eher zurückziehen als Frauen, weil sie untern anderem seltener Hilfe in Anspruch nehmen.
An der Studie haben 5000 Männer und Frauen zwischen 18 und 74 Jahren in Deutschland teilgenommen.
3 📌 Roboterkollektive können Eigenschaften von embryonalem Gewebe imitieren
Kann man Roboter dazu bringen, zusammenzuarbeiten, zum Beispiel wie eine Ameisenkolonie, die sich wie eine fließende Flüssigkeit bewegen, aber auch eine feste Struktur bilden kann, etwa eine Brücke über eine unpassierbare Strecke? Forscher an der UC Santa Barbara UCSB und der TU Dresden haben einen Weg gefunden, Robotern das Verhalten von Materialien näher zu bringen. Das sagt Matthew Devlin , ehemaliger Doktorand im Labor des Maschinenbauprofessors Elliot Hawkes von der UCSB und Hauptautor eines im Fachmagazin Science veröffentlichten Artikels.
Besonders interessant für das Forschungsteam war die Herausforderung, ein Robotermaterial zu entwickeln, das sowohl steif als auch stark ist und dennoch fließen kann, wenn eine neue Form benötigt wird. Anstatt auf äußere Kräfte zu reagieren, um eine Form anzunehmen, würden Robotermaterialien idealerweise auf interne Signale reagieren, erklärte Hawkes. Sie könnten eine Form annehmen und behalten, „aber auch gezielt in eine neue Form fließen.“ Als Inspiration nutzten die Forscher frühere Arbeiten von Otger Campàs , einem ehemaligen Professor der UCSB und heutigen Direktor des Exzellenzclusters „Physics of Life“ an der TU Dresden, über die physische Form von Embryonen. „Lebende embryonale Gewebe sind die ultimativen intelligenten Materialien“, sagte er. „Sie haben die Fähigkeit zur Selbstformung, Selbstheilung und sogar zur Kontrolle ihrer Materialstärke in Raum und Zeit.“ Während seines Aufenthalts an der UCSB entdeckte sein Labor, dass Embryonen wie Glas schmelzen können, um sich selbst zu formen. „Um sich selbst zu formen, können Zellen in Embryonen das Gewebe zwischen flüssigem und festem Zustand wechseln lassen; ein Phänomen, das in der Physik als Rigiditätsübergang bekannt ist“, fügte er hinzu. Mit den autonomen Robotern verwischen die Grenzen zwischen Robotik und Verhaltensweisen, die von der Biologie inspiriert sind. Das Kollektiv besteht aus einzelnen scheibenförmigen Robotern, die wie kleine Hockey-Pucks aussehen. Die Mitglieder sind so programmiert, dass sie sich zu verschiedenen Formen mit unterschiedlichen Materialeigenschaften zusammensetzen.
Weiterlesen im Originalartikel auf den Seiten der UCSB
Material-like robotic collectives with spatiotemporal control of strength and shape
Matthew R. Devlin, Sangwoo Kim,Otger Campàs, and Elliot W. Hawkes Science 20 Feb 2025 Vol 387, Issue 6736 pp. 880-885
https://www.science.org/doi/10.1126/science.ads7942
4 📌 Morgenkaffee entfaltet positive Wirkung
Beim Kaffetrinken kommt es offenbar auf den Zeitpunkt, ob das koffeinhaltige Getränk positive Wirkungen entfaltet oder nicht. Angeblich senkt Kaffeegenuß am Morgen das Sterberisiko. In einer großangelegten Studie mit mehr als 40.000 Teilnehmern in den USA konnte gezeigt werden, dass der Zeitpunkt des Kaffeetrinkens, unabhängig von der Menge des Kaffeekonsums, mit dem Gesamtsterblichkeitsrisiko und dem kardiovaskulären Sterblichkeitsrisiko verbunden ist. Insbesondere deuten die Ergebnisse darauf hin, dass Kaffeetrinken am Morgen mit einer geringeren Sterblichkeit verbunden ist als Kaffeetrinken später am Tag.
Der Zeitpunkt des Kaffeetrinkens beeinflusste den Zusammenhang zwischen Kaffeeaufnahmemenge und Gesamtmortalität signifikant (pInteraktion = 0,031). Ein höherer Kaffeekonsum war signifikant mit einem geringeren Risiko der Gesamtmortalität bei Teilnehmern vom Morgentyp assoziiert, jedoch nicht bei Teilnehmern, welche den ganzen Tag über Kaffee tranken.
Eine mögliche Erklärung für die Studienergebnisse, so die Autoren, wäre, dass der Konsum von Kaffee am Nachmittag oder Abend die zirkadianen Rhythmen wie etwa den Schlaf-Wach-Rhythmus, Schwankungen der Herzfrequenz oder Schwankungen des Blutdrucks beeinflussen sowie den Spiegel des Schlafhormons Melatonin stören könnte.
5 📌 Der Humanoide Roboter TALOS in Darmstadt eingetroffen
Die Technische Universität Darmstadt erweitert ihr Portfolio an interdisziplinären Forschungsgroßgeräten um den humanoiden Roboter TALOS - nach Angaben der TU ist Darmstadt damit einer der weltweit nur fünf weiteren Forschungsstandorte mit einem solchen Roboter. Damit ist zugleich der Startschuss für das neue Labor für Humanoide Robotik erfolgt im Fachgebiet für Intelligente Autonome Systeme von Professor Jan Peters. Das Labor soll eine Plattform bieten, um die Wechselwirkungen zwischen motorischen Fähigkeiten, kognitiver Wahrnehmung und Mensch-Roboter-Interaktion zu erforschen.
TALOS ist ein 1,75 Meter großer und 95 Kilogramm schwerer humanoider Roboter der Firma Pal Robotics. Er kann pro ausgestrecktem Arm sechs Kilogramm heben, Treppen steigen, auf unebenem Terrain laufen, mit seinen Greifhänden Dinge manipulieren sowie mit menschlichen und mechanischen Kolleg:innen zusammenarbeiten.

Das Team um Laborleiter Dr. Oleg Arenz will den Roboter für Grundlagenforschung zu Lernproblemen auf verschiedenen Ebenen einsetzen. Ausgestattet mit einer Vielzahl an Sensoren und einer großen Rechenleistung, soll der Roboter komplexe Abläufe planen und durchführen. Die in den Gelenken verbauten Motoren und Sensoren sowie die Drehmoment-Regelung erlauben ihm außerdem, die Bewegungen präzise und flüssig auszuführen. Arenz und sein Team interessieren sich insbesondere für das Zusammenspiel der hardwarenahen Motorregelung mit abstraktem Denken durch Künstliche Intelligenz. Die Anschaffungskosten in Höhe von insgesamt circa 1,8 Millionen Euro für TALOS, seine zukünftigen Erweiterungskomponenten für mehr Agilität und Dynamik sowie die Laborausstattung werden je zur Hälfte von der TU Darmstadt und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) getragen.
📺 Videotipp
"Mindcraft Neuroedition 2025. Wie ein Videospiel Leben retten kann" Können Computerspiele die Medizinausbildung revolutionieren? Die Neurologin Anne-Sophie Biesalski über Educational Games
💬 Über unseren Tellerrand
1️⃣ Die ersten Städte Europas
Lange vor Stonehenge, den ersten ägyptischen Pyramiden oder den Städten der Sumerer lebten in Südosteuropa schon Menschen in verblüffend modernen Gemeinschaften zusammen: Sie wohnten in Megasiedlungen aus konzentrisch angeordneten, fast identischen Reihenhäusern, erwirtschafteten ihre Nahrung in einem Kreislaufsystem und trafen politische Entscheidungen ähnlich demokratisch wie wir heute. Doch wie diese Cucuteni-Tripolye-Kultur entstand und warum sie endete, ist bis heute nicht völlig geklärt. Was machte die Megasiedlungen möglich? Warum verschwand die Trypillia-Kultur?
Spannend zu entdecken, weiterlesen bei Scinexx
📬 In unserer Mailbox
1️⃣ Überversorgung im deutschen Gesundheitssystem?
Ein Forschungsteam der TU Berlin untersuchte, wie viele Leistungen im deutschen Gesundheitssystem als Überversorgung gelten. Heraus kam eine Liste von “24 Leistungen mit fragwürdigem Nutzen”. Die Verschreibung von Antibiotika bei unkomplizierten Atemwegsinfekten, die Bestimmung von Tumormarkern ohne bestehende Krebsdiagnose oder die Messung von Schilddrüsenhormonen bei Personen mit bekannter Schilddrüsenunterfunktion sind nur drei von 24 medizinischen Leistungen, die im deutschen Gesundheitssystem häufig erbracht würden, obwohl ihr Nutzen für die Patienten fraglich sei. Durchgeführt wurde die Studie zwischen 2020 und 2024 am TU-Fachgebiet Management im Gesundheitswesen, das von Prof. Dr. Reinhard Busse geleitet wird.
Das Forschungsteam identifizierte auf Grundlage einer systematischen Literaturrecherche 123 medizinische Leistungen, die weltweit von Fachgesellschaften – unter anderem auch durch die „Choosing Wisely“-Initiative, die unnötige medizinische Leistungen reduzieren möchte, – als unangemessen eingestuft werden. Anschließend wurden 24 dieser Leistungen von Expert*innen deutscher medizinischer Fachgesellschaften als relevant und messbar in deutschen Krankenkassendaten bewertet.
Zu weiteren als fragwürdig identifizierten Leistungen gehören unter anderem
• die routinemäßige Verschreibung von Benzodiazepinen für Menschen über 65,
• Inhalationstherapie bei COPD ohne vorherige Bestätigung der Diagnose durch Spirometrie,
• Verschreibung unwirksamer Medikamente wie zum Beispiel ausgewählter Nootropika bei Alzheimer,
• Opiate bei Migräne und Kopfschmerzen,
• Untersuchung der Knochenmineraldichte in regelmäßigen Abständen,
• Elektrotherapie bei Wundliegegeschwür.
Das Forschungsteam sieht seine Studie als einen Impulsgeber, um das Thema Überversorgung und deren Ursachen weiter zu erforschen und gezielt Maßnahmen zu entwickeln, die die Qualität, Sicherheit und Kosteneffizienz der Patientenversorgung verbessern. Denn Deutschland habe zwar eines der teuersten Gesundheitssysteme, aber nicht eines der effizientesten. Zudem berge Überversorgung auch gesundheitliche Risiken für die Patienten, etwa durch die Entstehung von Antibiotika-Resistenzen durch unnötige Antibiotikagabe oder stressinduzierende Folgeuntersuchungen durch falsch-positive Diagnosen.
„Quantifying Low-Value Care in Germany: An Observational Study Using Statutory Health Insurance Data From 2018 to 2021“: doi.org/10.1016/j.jval.2024.10.3852
Zur Pressemeldung der TU Berlin
📣 Ankündigungen
1️⃣ 51. Deutscher Koloproktologen-Kongress
Kommende Woche treffen sich alle an koloproktologischen Themen Interessierten aus dem deutschsprachigen Raum im Kongress am Park in Augsburg zu aktuellen interdisziplinären Sitzungen, Vorträgen, Workshops und Seminaren der Koloproktologie. Themen sind u.a. „Stuhlinkontinenz“, „CED, Pouchitis und anales Fistelleiden“, „Kolorektales Karzinom – neue Leitlinie?“ und „Anale Dysplasien“. Zudem gibt es eine „Special Lecture“ von Prof. Marcos Gomez-Ruiz aus Santander zum Thema „Skills Lab 2.0: The future of teaching in robotic colorectal surgery“.
📅 Wann: 13. – 15. März 2025
📍 Wo: Kongress am Park, Gögginger Str. 10, 86159 Augsburg
ℹ️ Weitere Informationen zum Kongress
2️⃣ Kardiovaskuläre Frühjahrstagung und Tag der Pflegefortbildung
Welche Apps braucht man im klinischen Alltag? Welche kardiovaskulären Geschlechterunterschiede gibt es? Wie wirkt sich der Klimawandel und die Luftverschmutzung auf die Herz-Kreislauf-Gesundheit aus? Und wie wird man 100 Jahre alt?
📅 Wann: 21. und 22. März 2025
📍 Wo: Herzzentrum Leipzig, Strümpellstraße 39, 04289 Leipzig
MINQ's weekly picks Newsletter
Melden Sie sich kostenlos an, um die neuesten Updates in Ihrem Posteingang zu erhalten